Bereit zur Organspende
Der große und von vielen Ehrenamtlichen unterstützte DRK-Aktionstag zur Organspende am 1. Juni hat sein Ziel erreicht. Durch ihn werden viele Leben gerettet werden können.
Dicht gedrängt stehen die Wartenden im Spielzimmer der DRK-Kindertagesstätte Appen. Nur das Surren der Tätowiernadel ist zu hören. Das Motiv, das heute kostenlos gestochen wird, zeigt zwei halbe und einen ganzen Kreis. Das Symbol steht für die Bereitschaft zur Organspende. Genau dazu sind alle hier im Raum bereit - und das wollen sie auch zeigen. Freunden, Familie, aber auch Ärzten nach einem tödlichen Unfall.
Reinhard Wilking, der sich gerade in die Schlange einreiht, war schon einmal Knochenmarkspender. Der 57-Jährige sagt: „Ich vertraue den Ärzten, dass sie ihre Sache gut machen.“ Er kennt die Sorge nicht, die viele Menschen vom Ausfüllen eines Organspendeausweises zurückhält: Bin ich dann wirklich tot?
Eine wichtige Entscheidung
Für Fragen wie diese ist Dr. Christina Quellmann nach Appen gekommen. Sie hält gleich einen Vortrag. Ihre Praxis hat die Allgemeinmedizinerin in Haseldorf, sie ist aber auch Chirurgin und koordiniert für die Deutsche Stiftung Organtransplantation die Verteilung von Spenderorganen. Von denen es viel zu wenige gibt. Rund 8400 Menschen warten aktuell in Deutschland auf ein Organ und die lebensrettende Transplantation. „Das größte Problem ist“, sagt die Ärztin, „dass die Menschen keine Entscheidung treffen. Die liegt dann bei den ohnehin erschütterten Angehörigen."
Um dies zu ändern haben der DRK-Ortsverein Appen und die Stiftung „Appen hilft“, unterstützt vom DRK-Kreisverband Pinneberg, den bundesweiten Tag der Organspende am 1. Juni zum Anlass genommen, einen eigenen Aktionstag zu veranstalten. Mehr als 90 freiwillige Helferinnen und Helfer seien an der Organisation beteiligt gewesen, erklärt der verantwortliche Ehrenamtskoordinator Sean Anderson, der noch schnell Kugelschreiber bereitlegt, Organspendeausweise auffächert und Sonnenschirme aufspannt.
Für die Widerspruchslösung
Auf der Metalltreppe, die den modernen Backsteinbau hinaufführt, tritt nun Heiner Garg ans Mikrofon. Der ehemalige schleswig-holsteinische Gesundheitsminister ist Schirmherr der Veranstaltung - und er benennt das vielleicht größte Problem: die so genannte „Entscheidungslösung“. Anders als etwa in Spanien, wo jeder grundsätzlich Organspender ist, wenn er nicht widerspricht, muss man sich in Deutschland aktiv für die Organspende entscheiden. Mehr als die Hälfte der Deutschen hat dies noch nicht getan.
„Ich selbst habe die Entscheidung immer wieder aufgeschoben“, bekennt der stellvertretende Landrat Daniel Kölbl in seinem Grußwort, „ein Tag wie heute ist gut für die Auseinandersetzung mit dem Thema.“ Der Applaus von der Rasenfläche klingt nach Bestätigung. Die kommt auf jeden Fall von Rainer Müller, der vom Organspendetag im Pinneberger Tageblatt gelesen hat. Der 73-jährige Rentner war Feuerwehr-Pressesprecher und hat lange gezögert: „Heute ist es so weit. Ich unterschreibe.“
Nach dem Wiederbelebungsversuch
Im Bewegungsraum der Kita versammeln sich diejenigen, die noch Informationen benötigen. Vor der Sprossenwand beginnt Dr. Christina Quellmann mit ihrem Vortrag. Sie klärt gleich zu Beginn, dass der Hirntod sicher und durch zwei unabhängige Mediziner*innen festgestellt werden muss. Der Fall, dass das Gehirn nicht mehr durchblutet wird, das Herz aber noch schlägt, betont die Chirurgin, sei sehr selten. Er komme bei zu späten Wiederbelebungsversuchen vor, etwa nach einem Bade- oder Verkehrsunfall. Spendewillige können selbst entscheiden, welche Organe entnommen werden.
Explantationen finden meist nachts statt, wenn die Operationssäle nicht anderweitig belegt sind. Ein Arbeiten gegen die Zeit. „Herz und Lunge fliegen, die vertragen maximal sechs Stunden ohne Durchblutung, Leber und Niere fahren.“, beschreibt die Medizinerin den Transport zum Empfänger. Durch die Glastür lugt ein Junge mit Schirmmütze herein und winkt seinem Vater zu, in der Hand ein Poster mit Leber, Lunge und Herz. Auch draußen lernt man dazu. Der Organspendetag ist als Familienevent geplant.
Mutiger werden
In der Junisonne zieht es die neu angekommenen Familien zuerst zum Würstchengrill, dann zum Kinderschminken oder auf die Hüpfburg. Überall auf der Wiese toben Kinder und entdecken die Spielgeräte der DRK-Kita. Darunter Holzkisten, die mit Latten zu einem Parcours verbunden werden können. „Wir sind eine zertifizierte Bewegungskita“, erklärt Kita-Leiterin Andrea Wohlfeil und ihre Stellvertreterin Ann-Christin Salle ergänzt: „Wenn man sich bewegt, bewegt sich auch der Kopf. Wenn ich mich hier etwas traue, überträgt sich das auf das ganze Leben.“
Auch ein fremdes Organ anzunehmen verlangt Mut. Gunda Heese hatte keine andere Wahl, als mutig zu sein. Die blonde 44-Jährige trägt heute eine Bluse mit Schneeleopardenmuster und erzählt im Vortragsraum scherzend von ihren Erfahrungen als Empfängerin einer fremden Lunge: „Der Sauerstoffschlauch war mein Draht zur Welt. Und der sollte nach der Transplantation abgenommen werden? Das hat mir Angst gemacht.“
Die entscheidende Diagnostik
Schon mit sechs Jahren musste die Schenefelderin regelmäßig ins Krankenhaus. Die Diagnose: Lungenhochdruck. Irgendwann die erste Nachricht von einer neuen Lunge. Die die Diagnostik nicht überstand, der Spender war erkältet, das Organ verschleimt. Beim zweiten Mal klappte es. Für Gunda Heese ist ihr „zweites Leben“, für das sie täglich dankbar ist, auch eine Frage des Lebenswillens: „Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen. Man braucht ein Ziel.“ Einige im Publikum nicken.
Was für Organempfänger*innen die Zuversicht ist, ist für potenzielle Spender*innen der Kontakt zu einem oder einer Betroffenen. Gunda Heese bestätigt das: „Viele Bekannte sagen: Durch dich bin ich darauf gekommen.“ Auch Olaf Wilkens bietet Neugierigen am Tisch mit den Organspendeausweisen das Gespräch an. Vor einem Jahr hat der Maurermeister nach einer Ärzteodyssee ein Stück Leber erhalten. Das reicht, denn Lebern wachsen nach. Der 61-Jährige gab den Anstoß zum Tag der Organspende, den Waltraut Hörmann, Vorsitzende des DRK-Ortsvereins Appen, gerne aufgriff.
Helfen macht Spaß
„Ich bin super zufrieden“, sagt die aktive Rotkreuzlerin und „alles läuft wie am Schnürchen“, als sie kurz am Tisch ihrer Appener DRK-Mitstreiterinnen vorbeischaut. Margit Schabatke, Gabi Lorenzen, Elke Schuber, Inga Steinke und Rosemarie Subke tragen trotz der Hitze ihre roten Fleecejacken, um ihre Botschaft deutlich zu machen. „Helfen macht Spaß“ steht darauf, gestickt mit weißem Garn. Übermorgen treffen sie sich wieder, dann ist Dienstabend, wie jeden ersten Montag im Monat - und Neue sind herzlich willkommen. Vielleicht ist dann noch einer der 24 von den Ehrenamtlichen selbst gebackenen Kuchen da, die Herma Claußen in großen Stücken gegen eine Spende abgibt. Der Käsekuchen ist allerdings schon weg.
Der Aktionstag neigt sich dem Ende zu. Die Warteschlange für die Tattoos ist nicht kürzer geworden. Es haben sich immer noch neue Organspender*innen angestellt. Yvonne Klatt vom Salon "Horst sticht zu" hat bereits 22 Mal die Nadel angesetzt. Das entspricht mehr als hundert geretteten Menschenleben. Wenn mehrere Organe transplantiert werden können, was wahrscheinlich ist. Jetzt sitzt Kristin Martens vor der Tätowiererin. Für die Einzelhandelskauffrau ist es „das erste Tattoo - und gleich für einen guten Zweck“. Eine zarte Ranke wird das Organspendezeichen zieren. Der Gedanke, den die 46-Jährige damit verbindet: „Man gibt etwas her - wird es aber nicht merken. Ich möchte, dass jemand mit meiner Hilfe weiterleben kann.“