„Lieber ganz falsch retten als gar nicht“
Viele Menschen schauen bei Unfällen lieber weg als zu helfen. Weil sie nicht wissen, wie. DRK-Ausbilder Kai Lemke arbeitet gegen diese Angst an und verhilft zu Erste-Hilfe-Know-how.
Kai Lemke hat Mittagspause und beißt ins mitgebrachte Brötchen. Gleich geht es wieder um Leben und Tod. Jedenfalls theoretisch. Der Elmshorner gibt seit 2001 Erste-Hilfe-Fortbildungen in den Seminarräumen des Roten Kreuzes am Oberen Ehmschen in Rellingen, manchmal auch auswärts. Er lässt Revue passieren, was diese Woche los war. Vier verschiedene Gruppen, ein Termin in einer DRK-Kita. Das war das Highlight der Woche. „Die Kinder sind unglaublich direkt. Und sie ziehen voll mit.“
Das Verbinden habe den Kleinen am meisten Spaß gemacht, erinnert sich der Anleiter, aber „sie wollten auch wissen, wie man ein Notruf absetzt“. Wichtig, denn es könnte ja sein, dass die Eltern mal Hilfe brauchen. „Überhaupt“, betont der 46-Jährige, „kann man gar nicht früh genug anfangen, Notfallwissen aufzubauen“. Eigentlich müsse in allen Schulen Erste Hilfe ein Pflichtfach sein. Eigentlich. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe, der auch das DRK angehört, versucht seit langem genau das durchzusetzen.
Schon 1988 befürwortete das Deutsche Ärzteblatt, angesichts von durchschnittlich rund einer Million Schülerunfällen pro Jahr, diese Forderung der Arbeitsgemeinschaft. Gehe es doch neben sofortiger Hilfeleistung auch um Schadensbegrenzung. Woran allen Verantwortlichen gelegen sein muss. Doch bis heute verlassen zu viele Kinder ohne Erste-Hilfe-Kenntnisse die Schule. Was dann Folgen hat, wenn sie mit einem Unfall konfrontiert werden – und aus Sorge etwas falsch zu machen wegsehen.
Das aber sei das Schlimmste, was man tun könne, Kai Lemke wird laut: „Unterlassene Hilfeleistung ist eine Straftat!“, um die ebenfalls pausierenden Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer gleich wieder zu beruhigen „Sie können als Ersthelfer nichts tun, weswegen Sie als Laien angeklagt werden könnten. Lieber ganz falsch retten als gar nicht.“ Dass es solchen Zuspruch, wie den von Kai Lemke dringend braucht, bestätigt die jüngste Umfrage der Generali-Versicherung.
Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland fühle sich ihr zufolge weniger oder gar nicht sicher, Erste Hilfe zu leisten. Frauen (40,2 Prozent) fühlten sich grundsätzlich sicherer als Männer (33,7 Prozent). Die Bedeutung dieser Zahlen bringt der Rotkreuzler mit wenigen Worten auf den Punkt: „Ohne Ersthelfer bricht unser Rettungssystem zusammen“. Ärzte kommen erst später, Passanten, Nachbarinnen, Kollegen sind fast immer die ersten, die handeln können. Kai Lemke: „Im Training ist es mir wichtig, dass die Leute reagieren lernen.“
Die Pause ist zu Ende. Gleich geht es um die stabile Seitenlage. Die ist gerade einfacher geworden, zwei Handgriffe sind weggefallen. Die Abfolge der richtigen Handgriffe sei aber nicht das Problem sagt der Fortbildner auf dem Weg in den Seminarraum: „Es fällt den Menschen schwer, einem Fremden so nahe zu kommen.“ Auch das will erlebt und geübt sein.
2022 haben im DRK-Kreisverband Pinneberg 4560 Menschen gelernt Erste Hilfe zu leisten, in 386 Kursen. Zur eintägigen Fortbildung kann sich jeder hier anmelden. Für Eltern gibt es eigene Kurse für die Erste Hilfe am Kind. An Schulen unterstützt das DRK darüber hinaus den Aufbau von Schulsanitätsdiensten.
Foto: DRK / André Zelck