Herzinfarkt, Hitzschlag, elektrischer Schlag
Damit Ersthelfer im Betrieb wissen, wie sie mit Notfällen umgehen müssen, gibt es die DRK-Ausbildung - und Auffrischungen alle zwei Jahre. Ein Besuch der Ausbildung.
Am Ende sieht alles so aus, wie es sein sollte: Über dem angefahrenen Radfahrer liegt goldglänzend eine Rettungsfolie, der mutmaßliche Verursacher des Unfalls, der Taxifahrer, wartet in Warnweste auf die Polizei, ein Warndreieck ist aufgestellt, der Notruf abgesetzt. Passanten sprechen dem Mann am Boden gut zu. Die Szene ist spontan improvisiert, auf blaugrauem Teppichboden und mit vier Polsterstühlen als Taxi. Das hat gereicht, um sich in eine Situation hineinzuversetzen, in der Erste Hilfe gebraucht wird. Denn darum geht es heute, in der Fortbildung für betriebliche Ersthelfer. Alle zwei Jahre müssen sie ihr Wissen auffrischen.
Marco Zander, der in der Übung als Passant auftrat, findet das richtig: „Ich war mal beim THW, aber das ist jetzt zehn Jahre her. Man verliert die Selbstverständlichkeit, Erste Hilfe zu leisten.“ „Sicherheit kommt nur durch Übung“, bestätigt DRK-Ausbilder Olde Ruge. Deshalb geht es heute vor allem um die Praxis. Das Material dafür hatte der 57-Jährige mit dem langen, grauen Statement-Bart und dem silbernen Ohrring per Lift und Rollbrett in den fünften Stock des Elmshorner Flora-Infotreffs gebracht: drei Kisten mit Mullbinden, Scheren, KFZ-Verbandstaschen. Pünktlich um 8:30 Uhr sprach Ruge ein: „Let’s get ready to rumble!“ Nun ist bis 16:15 Uhr Zeit, Notfälle und Hilfsmaßnahmen durchzuspielen.
Wie schnell Schreckensszenarien Wirklichkeit werden können, weiß Jens Kleukling, Bäcker bei Harry Brot, nur zu gut. Ein Kollege war mit dem Arm in die Teigmaschine geraten. Es galt, das Schlimmste zu verhindern. „Die Maschine lief noch“, erinnert sich der Ersthelfer, „ich habe den Not-Aus-Schalter gedrückt und den Notruf 112 gewählt. Gemeinsam haben wir den Kollegen mit einem Brecheisen befreit.“ Der Anblick des zerquetschten Arms verfolgte Kleukling bis in seine Träume. Seither weiß er, dass er „dann nicht lange nachdenkt, sondern einfach macht.“ Und dass es etwas anderes ist, einen Unfall aus der Ferne zu sehen oder ganz nach dran zu sein.
Als würde er den Faden dieses Berichts aufgreifen, greift Olde Ruge zu einem blauen Kärtchen und pinnt es an die Pinnwand: „Durchatmen“ steht darauf. Das bedeutet: Noch vor der ersten Hilfsmaßnahme gilt es, sich einen Überblick über mögliche Gefahrenquellen zu verschaffen. Dazu gehört: „Ist es sicher?“ Diese Frage hängt bereits. Das hatten die Teilnehmer bei der ersten Übung noch nicht im Kopf, als sie sofort von den blauen Sesseln auf den Verletztendarsteller zu stürzten. Was aber gut geklappt hat: Unterstützung erbitten. „Erste Hilfe ist keine One-Man- oder One-Woman-Show“, erklärt der DRK-Mann, „unbedingt Hilfe holen, Umstehende dazu bitten, den Notruf wählen!“
Gut zu wissen. Denn im eigenen Betrieb Erste Hilfe anzubieten, bedeutet auch, freiwillig zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Für Unternehmen ist die betriebliche Hilfe nicht optional. Bußgelder drohen, wenn keine Ersthelfer*innen ausgebildet werden, strafrechtliche Konsequenzen dann, wenn Beschäftigte gesundheitlichen Schaden erleiden. Heute werden auch die Grenzen der Unterstützung im Notfall wiederholt: keine Eingriffe, keine Medikamente verabreichen.
Die zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus Messebau, Bank, Bäckerei, Logopädiepraxis und Jugendhilfe. Ruge hat ihre volle Aufmerksamkeit, als er schwer atmend auf den zweiten Punkt der „Erste-Hilfe-Ampel“ nach „wach“ eingeht, die hör- und fühlbare Atmung. Die normalerweise die „Ampel“ auf Grün springen lässt. "Hier sagt ihr vielleicht: 'Toll, der atmet. Aber falsch! Das ist Schnappatmung“, sagt der Ausbilder kehlig röchelnd und rät zur sofortigen Wiederbelebung. Ruge liebt Action. Auch, wenn er selbst im Einsatz ist, etwa bei Musikfestivals.
„Bisschen verrückt musst du schon sein, wenn du mit dem roten Rucksack zwischen Hunderten von Menschen rumläufst und schaust, ob es einem schlecht geht.“, sagt Olde Ruge und grinst, „Festivals gehen rund um die Uhr und du bist hochverantwortlich - ohne einen Taler zu bekommen.“ Man merkt ihm an, dass dieser Dienst genau sein Ding ist. Zuletzt war er auf dem „Irish Folk Open Air“ in Poyenberg im Einsatz und beim Technofestival „Love Explosion“ in Quarnstedt. Selbst steht er eher auf Metal und Motorräder. Und auf geistige Unabhängigkeit.
Neutralität und Menschlichkeit sind für den Ausbilder deshalb die wichtigsten Grundsätze des Deutschen Roten Kreuzes, auch wenn er sie „alle unterschreiben kann“. Seit zwölf Jahren gibt er Erste-Hilfe-Kurse. Die Routine ist spürbar, aber Langeweile kommt nicht auf. Kein bisschen. Oldes Erklärung: „Es sind immer die gleichen Themen, aber die Fragen sind andere.“ Die meisten Fragen kommen heute beim Durchspielen der Hilfe bei häufig auftretenden Notfällen: Herzinfarkt. Hitzschlag, Stromunfall. Die Maßnahmen: Rettungsdienst rufen, wenn ansprechbar hinsetzen und Kleidung lockern. In den Schatten bringen. Von der Steckdose trennen, ohne den Menschen anzufassen.
Eine Frage ist noch vom simulierten Verkehrsunfall übrig: Helm abnehmen oder auflassen? „Auf jeden Fall abnehmen“, räumt Ruge letzte Unsicherheiten aus, „egal ob Fahrrad-, Motorrad- oder Reithelm.“ Seine Anschaulichkeit macht es leicht, sich etwas einzuprägen. Der DRK-Ausbilder setzt noch einen drauf: „Achtet immer darauf, die Körpertemperatur mit der Folie konstant zu halten. Macht es Verletzten warm und gemütlich. Wie heißt das auf Dänisch?“ „Hygge“, kommt es von rechts und links. Olde nickt. Alle schmunzeln. Diese Erste-Hilfe-Maßnahme wird wohl niemand vergessen.